V.l.n.r.: Claudia Em, Dominik Lichtenthal, Elisabeth Hack, Petra Keplinger, Katja Sieper, Sozial-Landesrat Christian Dörfel
Unter dem Titel „Suizid-Postvention: Begleitung für jene, die bleiben“ beleuchtete der gestrige Krisentalk der Krisenhilfe OÖ ein oft tabuisiertes, aber umso wichtigeres Thema: die Unterstützung von Hinterbliebenen nach einem Suizid. Rd. 250 Gäste verfolgten im Gemeinderatssaal des Alten Rathauses Linz Expert*innenvorträge, die einen Bogen von akuter Hilfe bis zur Langzeitbetreuung von Zurückbleibenden nach einem Suizid spannten.
Eröffnet wurde die von Claudia Em (ORF) moderierte Veranstaltung von Sozial-Landesrat Christian Dörfel, der die Bedeutung von Angeboten wie der Krisenhilfe OÖ hervorhob: „Jeder Suizid verändert das Leben vieler Menschen nachhaltig. Gerade für die Hinterbliebenen ist es essenziell, rasch und unkompliziert professionelle Unterstützung zu erhalten, um den Trauerprozess bewältigen zu können. Suizid sollte kein Tabuthema sein, sondern als Herausforderung betrachtet werden, der wir uns als Gesellschaft gemeinsam stellen. Denn in den schwierigsten Situationen muss man zusammenhalten.“
Auch Katja Sieper, Leiterin der Krisenhilfe OÖ, betonte die Relevanz des Themas: „Mit gezielter Suizid-Postvention können wir nicht nur unmittelbar entlasten, sondern auch präventiv wirken – indem unsere Arbeit das Risiko verringert, dass Hinterbliebene selbst psychisch erkranken. Unser wertvollstes Instrument in der Begleitung ist der Aufbau von tragfähigen, vertrauensvollen Beziehungen und maßgeschneiderte Unterstützung, die sich an den jeweiligen Bedürfnissen der Betroffenen orientiert.“
Die Betreuung von Angehörigen nach einem Suizid macht fast 15 Prozent aller Kriseninterventionseinsätze in Oberösterreich aus. Jede dritte Person verliert in ihrem Leben eine*n Bekannte*n durch Suizid. Die Trauer und der Schmerz über den Verlust gehen oft mit Schuldgefühlen, sozialer Isolation und der quälenden Frage nach dem Warum einher. Aus diesem Grund braucht es spezifische Maßnahmen der Suizid-Postvention – von psychosozialen Akutinterventionen bis hin zu langfristigen Begleitangeboten.
Im Rahmen des Krisentalks 2025 widmeten sich namhafte Expert*innen verschiedenen Aspekten der Suizid-Postvention. Petra Keplinger, Notfallpsychologin und fachliche Leiterin der psychosozialen Dienste des Roten Kreuzes OÖ, sprach in ihrem Vortrag über die ersten Stunden nach einem Suizid und die Herausforderungen der akuten Krisenintervention. Sie betonte die Notwendigkeit rascher und einfühlsamer Hilfe, um eine erste Stabilisierung der Hinterbliebenen zu ermöglichen.
„Der Suizid eines nahen Menschen hinterlässt häufig tiefe emotionale Wunden und die Angehörigen erleben überwältigende Gefühle wie Schock, Trauer, Schuld, Wut, Scham, Stillschweigen und Verwirrung. Wesentlich ist es etwa, die Verantwortung für den Suizid dort zu verorten, wo sie hingehört: Die Entscheidung für den Suizid hat der*die Suizident*in getroffen. In der Akutphase kann es auch hilfreich sein, den Angehörigen grundlegende Informationen über die Trauerreaktionen nach einem Suizid zu geben. Dadurch können Gefühle der Überforderung und des Alleinseins reduziert werden, da Betroffene erkennen, dass ihre Reaktionen Teil eines normalen Trauerprozesses sind.“
Katja Sieper und Elisabeth Hack, Teamleiterin des Kriseninterventionszentrums der Krisenhilfe OÖ, thematisierten in ihrem Vortrag die ersten Wochen nach einem Suizid und unter anderem die emotionale Verarbeitung von Schuldgefühlen und Scham. Dabei wurde deutlich, dass die professionelle Begleitung in dieser Zeit entscheidend dazu beiträgt, langfristige psychische Belastungen zu reduzieren.
„In Anbetracht der Komplexität von Schuldgefühlen oder -zuweisungen ist es wichtig zu akzeptieren, dass die Bewältigung dieser Emotionen in den meisten Fällen nicht rasch erfolgt, sondern Zeit benötigt. Wir nehmen bei der Arbeit mit Menschen in traumatischen Situationen immer eine klar lebensbejahende Haltung ein und bieten so auch eine stellvertretende Zuversicht – bei gleichzeitig größtmöglichem Respekt vor der Autonomie unseres Gegenübers.“
Einen besonderen Fokus legten die beiden auch auf die Begleitung von Kindern und Jugendlichen nach einem Suizid: „Kinder haben andere Grundvoraussetzungen und brauchen nach einem Suizid einer wichtigen Person in ihrem Leben vor allem eins: Leuchttürme, die Ihnen Sicherheit und Orientierung geben. Wir unterstützen erwachsene Bezugspersonen deswegen oft vor allem dabei, zu diesen Leuchttürmen zu werden, die trotz eigener Belastung in der Lage sind, die Bedürfnisse von Kindern zu erkennen, und sie feinfühlig dabei begleiten, ihren Weg zu finden.“
Dominik Lichtenthal, stellvertretender Teamleiter der Mobilen Einsätze der Krisenhilfe OÖ, gab Einblicke in die Arbeit mit Selbsthilfegruppen für Suizidtrauernde. „Viele Betroffene finden in der Gemeinschaft mit anderen Hinterbliebenen einen Weg, mit dem Verlust umzugehen. Der Erfahrungsaustausch ist für viele essenziell, um nicht in der eigenen Trauer zu versinken.“
Er präsentierte auch Stimmen aus der Selbsthilfegruppe der Krisenhilfe OÖ: „Die Gruppe gibt mir einen sicheren Rahmen, in dem ich das Unvorstellbare nicht erklären oder verteidigen muss. Wir sind alle Betroffene eines ähnlichen Schicksals. Jeder weiß, wie es den anderen gerade gehen muss. Es gibt keine Verurteilung, keine unpassenden Ratschläge, keine falschen Fragen.“
Der Krisentalk 2025 verdeutlichte einmal mehr die Wirksamkeit eines umfassenden Unterstützungsnetzwerks. Die Veranstaltung bot neben den Fachvorträgen auch Raum für eine Talkrunde, Fragen aus dem Publikum und persönlichen Austausch. Der Schulterschluss von Politik, Fachkräften und Betroffenen zeigt, dass Suizid-Postvention nicht nur eine Aufgabe der psychosozialen Dienste ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung darstellt.
In ca. zwei Wochen wird der Krisentalk 2025 auf Dorf TV auch zum Nachsehen zur Verfügung stehen.